Er ist der Fotograf in Hollywood: George Clooney, Sophia Loren und Miles Davis standen schon vor seiner Linse. Eine Koryphäe. Ein Idol. Ein Gewinner. Michel Comte, mehr geht nicht, oder?, will man ihn etwas herausfordernd fragen … und schluckt die Frage gleich wieder runter, sobald man ihn vor sich hat: Da sitzt ein Mann voller Demut und zugleich lustvoller Neugier. Ein Mann, der trotz seines Alters von bald 70 Jahren nicht in Erinnerungen schwelgt, sondern von Zukunftsplänen schwärmt. Er scheint schwierig zu fassen; wahrscheinlich auch deshalb, weil er sich gerade neu erfindet – aber wahrscheinlich tut er das schon sein Leben lang. Wir wagen einen Annäherungsversuch an das Wesen von Michel Comte.
Der Prominente
Gerade er, der sich jahrelang unter Models und Schauspielstars mischte, wollte eines nie sein: berühmt. Wenn man erst einmal berühmt werde, verliere man automatisch seine Identität, sagt Comte. Einerseits versuchte er also, seine Bilder weltbekannt zu machen, um gleichzeitig im Schatten der Anonymität zu bleiben – ein Balanceakt, der zum Scheitern verurteilt war. Die Welt der Stars war ihm schon immer zu unecht, zu inszeniert, zu künstlich, denn der Fotograf ist ein Verfechter der Realität: «Meine Fotos sind die Realität selbst. Ich inszeniere nichts. Niemals.»
Der Extreme
Man könnte meinen, wer einmal in der Welt des Luxus angekommen ist, verlässt diese so schnell nicht wieder. Michel Comte tat es doch … und zwar richtig! Mit seiner Kamera suchte er die Kehrseite der Menschheit auf, die er aus Hollywood kannte. Kriegsgebiete, Armut, Hungersnöte; all das sah er durch die Linse seiner Kamera. «In der Tragödie liegt eine grosse Ästhetik verborgen.» Es klingt, als wäre Comte in gewisser Weise von der Tragik fasziniert – genauso wie von der Hollywood’schen Welt des Exzesses. Die Extreme scheinen eine unsichtbare Anziehungskraft auf ihn auszuüben – den Durchschnitt überlässt er anderen.
Der Naturschützer
Michel Comte ist ein Familienmensch. Man merkt es an der Art und Weise, wie er über seine Angehörigen spricht. Wahrscheinlich hat ihn dieser Charakterzug auch auf die Spur seines neuen Projektes geführt: die Gletscherfotografie. Dazu muss man wissen, Comtes Grossvater Alfred Comte war ebenfalls ein Überflieger, nur einer der etwas anderen Art: Er war ein Flugpionier und Flugzeugbauer, der auch international Bekanntheit erlangte. Bei einem seiner Ausflüge fotografierte der Grossvater Comte die Gletscher … und merkte damals schon, wie die weissen Giganten langsam, aber stetig immer kleiner wurden. Sein Enkel führt nun die begonnene Arbeit fort und verfolgt die Gletscher mit seiner Kamera auf ihrem Sterbebett. Entstanden sind Aufnahmen, die wachrütteln.
Der Künstler
Zum Schluss sind wir da, wo alles begonnen hat: Michel Comte, der Künstler. Comte war nämlich, bevor er die Coverfotos für Vogue und Vanity Fair schoss, ein gelernter Kunstrestaurator. Die Kunst blieb ihm über all die Jahre nahe, sehr nahe sogar. Es war wie eine geheime Liebesaffäre, die er weder beenden konnte noch wollte, denn eigentlich galt ihr seine wahre Zuneigung. Nach einem schweren Unfall, bei dem er fast das Augenlicht verlor, war er gezwungen, die Fotografie aufzugeben … und fand wieder zur Kunst. Es dauerte jedoch Jahrzehnte, bis die Kunstszene und die Öffentlichkeit seine wahre Liebe akzeptierte – ohne gleich wieder nach Comte, dem Starfotografen, zu verlangen. Mittlerweile hat er Expositionen in Rom sowie Mailand und seine Werke sind in Galerien ferner Städte wie Istanbul oder Beijing ausgestellt. Der Ex-Starfotograf bleibt also auch als Künstler ein Mann, der die Welt in seinen Bann zieht.
Sein bedeutendstes Projekt derzeit: Eine gigantische Kunstinstallation inmitten der türkischen Wüste, die dem Sternbild Orion nachempfunden ist. Kürzlich hat ein Erdbeben in der Region alles zerstört, was er mit seinem Team über all die Jahre aufgebaut hatte. Doch Michel Comte lässt sich von nichts beirren: «I’m just getting started!»