In Architekturkreisen wird nicht selten über die Identität von Bauwerken debattiert. Am Darstellen von Beispielen wird versucht, den Gesprächen eine vertiefte Diskussionsgrundlage zu geben. Es gibt von einem weltbedeutenden holländischen Architekten sogar eine Kontroverse, die wohl auch als Provokation verstanden werden kann: «Ich bin für eine eigenschaftslose Stadt, weil sie sich von der Zwangsjacke Identität komplett lossagt. Für m3 Architekten ist es verlorene Zeit, sich an theoretischen Debatten zu beteiligen. Bei ihrem Neubau in einer Seegemeinde an der Tangente von Zürich haben sie einen Neubau realisiert, der das historische Erbe einfliessen lässt. Den Bau in einen geschichtlichen Kontext einzufügen, ganz neue Akzente zu setzen und beides elegant miteinander zu verbinden, das war für m3 Architekten die ultimative Herausforderung. Entstanden ist eine harmonisch anmutende Verbindung zum Stadtbild.
Die Fassade hat ein ebenmässiges Gesicht, das zum Hinschauen verführt
Bei der Fassade geht es um eine sehr hochwertige, massive vorgehängte Klinkerfassade. Man hat Rücksicht genommen auf die umliegenden Bauten, die teils aus der Gründerzeit stammen; die meisten eingekleidet in rötliche Mauern aus Backstein oder Klinker. Stellvertretend dafür ist die stadtbekannte Rote Fabrik. Am Rot der Steine hat man nicht festgehalten. Im Gegenteil. Die Klinker bei Hauptgeschossen erscheinen in einem hellen Sandton und sind farblich auf die Stoffmarkisen abgestimmt. Bei der Gestaltung der Fassade war höchste Sorgfalt angesagt. Sie wurde minuziös für das ausgewählte Steinmass geplant: Jeder Stein, jede Öffnung, jede Innen- und Aussenecke, jede Dilatationsfuge mit dem Ziel, eine kontrollierte selbstverständliche Fassade zu erhalten und möglichst wenige Steine schneiden zu müssen. Die Architektur von m3 akzentuiert mit implantierten Betonbändern eine fliessend daherkommende Horizontalität. Die kastanienbraunen Fensterrahmen fügen sich nahtlos ein. In der Ganzheitlichkeit betrachtet, ist ein formvollendetes Haus entstanden. Ein Haus, das eine stark körperliche Sprache spricht und auch eine Skulptur sein könnte. Notabene, die Geländer sind eine Eigenkreation der m3 Architekten.
Die Raumgestaltung ist eine Einladung, hier genüsslich zu verweilen
Für die Betrachtung der Innenräume braucht es auch eine Annäherung an den Pauschalbegriff von Atmosphäre oder Ambiance, an die Frage, welche räumlichen Situationen uns tatsächlich berühren. Wir bedienen uns da bei den philosophischen Gedanken der ungarischen Schriftstellerin Noémi Kiss: «Die Grundstimmung oder der Gesamteindruck lässt sich nicht explizit in architektonischen Begriffen wie Wohlgefühl, Stimmigkeit, Zuhausesein ausdrücken. Die innige Verbindung zwischen Mensch und Raum zeigt sich nicht nur darin, dass der Mensch seinem Wohnraum den Charakter seines eigenen Wesens aufprägt, sondern auch darin, wie er in seinem ganzen Wesen durch seinen Umraum bestimmt ist. Das Wohnen als spezielles Verhältnis des Menschen zum Raum beinhaltet Qualitäten, die ausserhalb des Sichtbaren und Greifbaren liegen und mehr als Ein-Dach-über-dem-Kopf-haben bedeuten. Geborgenheit, Intimität, Mütterlichkeit fallen unter das Atmosphärische. Eine Wohnung bestimmt die Befindlichkeit der darin lebenden Menschen.»
Es scheint, als hätte m3 Architekten eine seelische Verwandtschaft zu Noémi Kiss rund um die Begrifflichkeit Ambiance. Die Raumgestaltung von m3 erfüllt den Anspruch an diese Dualität von Physis und Emotionen. Das Spiel mit der Raumqualität hat aber auch sichtbare Momente. Befindet man sich in den grosszügig angelegten Räumen, wird man mitunter erkennen, dass jeder Raum eine neue Perspektive nach aussen öffnet, je nach Winkel des Betrachters. Das liegt daran, dass die Architektur, bedingt durch die Anordnung der Räume, sich auch den Regieanweisungen der äusseren Vielfalt unterordnet. Kommt hinzu, dass die Bodenbeläge eine sehr elegante und wohltuende Ausstrahlung haben, ungeachtet, ob man sich nun im Bad oder in der Küche über Marmor oder in den Wohn- und Schlafzimmern über den wertvollen, im Fischgrat-Look verlegten Parkett bewegt. Das Licht in den Räumen ist eine wahre Hommage an den Tag.
Die Treppe als brillante Hauptdarstellerin
Die Gestaltung der Treppen ist bei m3 Architekten ein Credo. Ihnen wird grosse Beachtung geschenkt. Gehen wir doch mit dem Wesen Treppe auf Tuchfühlung. Was symbolisiert sie? Nun, es ist wohl ein urmenschlicher Zug, Zeichen setzen zu wollen und diese auch zu verstehen. Wir haben eine symbolische Welt um uns herum geschaffen und alles, was wir bauen, ist Teil einer sozialen und symbolischen Sprache. Was die Form von Treppen angeht, so handelt es sich dabei schon seit Langem um Archetypen – Formen oder Bilder, die überall auf der Erde vorkommen! Seit Tausenden von Jahren sind Treppen ein physisches Symbol für Macht, Erfolg und Erleuchtung. Von der Antike bis in die Moderne hatte eine Treppe oft verschiedene Bedeutungen. Sowohl im Bereich der Bautechnik als auch in der Welt der Symbolik nehmen Treppen eine bedeutende Stellung ein. Sie sind Teil des Alltags. Sie markieren deutlich Distanzen, Unterschiede, die überwunden werden müssen, und bieten gleichzeitig die Lösungen, die Verbindungswege an. Bei m3 Architekten sieht man das ganz pragmatisch. Es geht ihnen darum, Treppen technisch und optisch so anzulegen, dass sie eine einprägsame Botschaft der Perfektion und Noblesse ausstrahlen. Schauen wir uns das näher an am Beispiel des besprochenen Hauses. Es sind nichtkongruente Treppen mit zweimaligem Richtungswechsel, entsprechend der klassischen Gliederung eines Gebäudes in Sockel, Mittelteil und Attika. Das heisst, mit Übergang vom Untergeschoss ins Wohngeschoss, von da ins Obergeschoss bis hinauf zur Attika. Dabei sind Aufsicht und Untersicht gestuft, was eine sehr plastische Wirkung erzeugt. Es gibt im Treppenhaus keine Seitenwände, nur Glas. Das hört sich alles sehr einfach an. Ist es aber nicht. Dahinter steckt eine aufwändige Planung: Anhand von 3D-Modellen und präziser Bauführung, begleitet von einer millimetergenauen Lasertechnik. Abgerundet wird das Qualitätsmanagement mit Stahlwagen und Brüstungsgläsern, die in jeder Innenecke präzise gelöst wurden. Ecke für Ecke.
Bäume als Symbol für ein lebendiges Leben
Der Baumschutz war zwar kostspielig, dafür wurde das Haus von Anfang an von grossen Bäumen gesäumt, die einen schönen Aussenraum und viel Privatsphäre generieren. Viel Zuwendung hat man der mächtigen, zwanzig Meter hohen Zeder geschenkt. Sie wurde hermetisch abgeschirmt vom hektischen Treiben auf der Baustelle. Man hat sie gehegt und gepflegt. Jetzt wacht sie, gesund und munter, in majestätischer Würde über dem Haus und nickt den Vorübergehenden ein freundliches Bonjour zu. Im Wissen, dass sie von den Flanierenden als Zeichen für das Leben betrachtet wird. Als Zeichen für Wachstum und die Entwicklung des Menschen, für seinen ganzen Lebenszyklus.
Die m3 Architekten gestalten seit 2001 moderne Architektur für Privatpersonen, Unternehmen und die öffentliche Hand. Sie legen Wert auf Verantwortung, entwickeln individuelle Bauten und führen alle Projektphasen intern durch, um hohe Qualität zu gewährleisten.
In einem Gespräch mit Basil Düby und Simon Künzler, den leitenden Architekten von m3 Architekten, haben wir uns die eine oder andere Notiz gemacht, um noch besser zu verstehen, was ihnen die Realisierung dieses städtischen Habitats bedeutet. Le voilà:
Basil Düby, woher kommt die Liebe zur Geometrie oder eben zur Treppe?
Die Treppe ist in der Architektur eines der wenigen Elemente, die man noch wirklich gestalten kann. Die Treppe hat in unseren Entwürfen einen Logenplatz. Wir kultivieren sie förmlich. Mit einem kleinen raffinierten Trick, der sei hier nicht verraten, kann man spielerisch eine Richtungsänderung erzielen.
Simon Künzler, es ist ja wohl immer eine Challenge, eine Treppe in voller Ästhetik ins Erscheinungsbild der beabsichtigten Architektur zu bringen. Ist für Sie die Treppe Fluch oder Segen?
Sehr viel Segen und nur ganz wenig Fluch. Nun gut, das Realisieren von Treppen wird immer komplizierter. Der Anspruch an die Offenheit, die seitlichen Anschlüsse und natürlich auch an die Sicherheit, sprich Absturzgefahr, und klar auch die Kosten verursachen schon mal nerviges Kopfzerbrechen.
Gab es für Sie schon den Moment, wo Sie dachten, es geht nicht mehr weiter, das schaffe ich nicht?
Nein. Es macht ja auch viel Spass, das Rumtüfteln an einer perfekten Lösung.
Eine Frage an die Hausbesitzerin: Hier, in diesem Haus, zu leben ist doch mitunter eine mit viel Liebe und Poesie gemachte Verschnaufpause vom Repetitiven, dem Immergleichen, dem Stromlinienförmigen. Was macht das Haus mit Ihnen?
Es lässt mich träumen.
Bitte nicht ganz so sparsam …
Nun, es ist für mich als ehemalige Regattaseglerin etwas Grossartige, zu sehen, wenn die Boote auf dem Zürichsee voll im Wind stehen. Das Segeln hat früher meine ganze Freizeit bestimmt. Jetzt kann ich mich hier genüsslich zurücklehnen und unaufgeregt beobachten, wie der Wind mit den Booten und umgekehrt die Boote mit dem Wind spielen.
Wenn das Haus eine Musik wäre, welche wäre das?
Nachtigall, die Oper von Igor Strawinsky.
Das lassen wir so stehen. Basil Düby, die Positionierung des L-förmigen Gebäudes, war das Absicht oder doch allenfalls eine göttliche Eingabe?
Eine solche habe ich leider noch nie empfangen. Nein, ohne falsche Bescheidenheit, es war die Ratio. Sie war aber auch der Gegenentwurf zu den Vorstellungen der künftigen Hausbesitzerin. Sie wünschte sich, die Breitseite des Hauses nach vorn, dem See entgegenkommend anzuordnen. Wir haben dann mit ihr eine kleine Kurve gefahren, drehten die L-Form des alten Hauses und erreichten damit, dass die Breitseite nach hinten rückte. Und was passierte dabei? Das Haus bietet nun von allen Seiten _ und nicht nur vorne _ viel Sicht auf den See. Ausgenommen davon ist die Rückseite des Gebäudes.
Im alten Haus wurden ja Dreharbeiten zum Film «Reise in die Wüste» gemacht. In diesem Film geht es um die toxische Beziehung zwischen Max Frisch und Ingeborg Bachmann. Was bedeutet es der Frau des Hauses, eine so bleischwere Verfilmung als Erinnerung an das alte Haus zu haben?
Es bedeutet mir sehr viel. Wie Sie sagen, die Erinnerung bleibt dann auf ewig eine lebendige. Das Originelle an der Geschichte: Die Anfrage für die Filmaufnahmen kam sechs Monate vor dem geplanten Abriss. Diese göttliche Fügung habe ich gerne entgegengenommen … sagt sie mit einem schelmischen Blick rüber zu Basil Düby.
Ein schöner Gedanke, hier die Gedankensplitter auszublenden. Nur noch kleine Erinnerung an die Zukunft, an das Hier-Wohnen: Das Gestern ist Geschichte, das Morgen nur Gerüchte, doch das Heute ist die Gegenwart. Und diese hier in diesem Haus erleben zu dürfen, ist ein Geschenk.
Fazit: Es ist m3 Architekten gelungen, ein Haus zu bauen, das eine lebendige und hochästhetische Geschichte erzählt. Beim Schreiben hat sich auch die Besitzerin eingebracht, und das mit viel Wohlwollen und Begeisterung für das Aussergewöhnliche. Die Zusammenarbeit trug das gleiche Attribut wie der fertige Bau: Harmonie. Eine zum Anfassen schön gebaute … und identitätsstiftend.