Michael Schiltknecht ist bei Steiner für das Entwickeln von ganzheitlichen Immobilienprojekten verantwortlich. Er denkt darüber nach, wie man in der Stadt den Wandel hin zum Gemeinsinn fördern kann. Er orientiert sich an den Menschen, die hier leben und die ein vitales Bedürfnis nach realen Räumen haben, nach dem, was sich riechen, spüren oder greifen lässt; nach Kontakten und Berührungen. Wohnen und Arbeit sollen sich mischen. Michael Schiltknecht stellt sich darum auch die Frage, wie das Gewerbe für Stadt wieder salonfähig wird.
Frank Joss: In London entsteht ein Büroturm nach dem andern, quasi im Wettlauf einflussreicher Unternehmer und weltbedeutender Institutionen. Dabei werden die meisten Angestellten künftig zu Hause arbeiten – im Homeoffice. Hat sich die Stadt verplant? Viele der Himmelsstürmer sind verwaist. Momentaufnahme oder triste Wirklichkeit? Ist London ein Fingerzeig für andere Megacities oder gar für Zürich?
Michael Schiltknecht: Es hat weniger mit der Pandemie zu tun als eher mit gewissen Kreisen von Investoren, die auf der Spielwiese der Eitelkeiten im Wettlauf miteinander sind: Höher. Schöner. Bedeutender. Mitunter ist es auch das Streben, ikonenhafte Symbole zu platzieren. Unverrückbare. Aber die eigentliche Frage ist doch, wohin sich die Stadt entwickelt. Vor Corona war die Richtung eindeutig: Die Stadt ist das Mass aller Dinge. Investoren, Entwickler und Architekten drängten die Stadt vorwärts und mit ihnen die Menschen, die hier leben und arbeiten wollen. Bis dann die naheliegende Erleuchtung kam, dass die Stadt gar nicht alles aufnehmen kann, was die bauende Entourage von ihr verlangt. Mit dieser Erkenntnis steht man vor der Kardinalsfrage, welche Bedeutung die Stadt für die Zukunft haben wird. Eigentlich müssten wir auf die Strasse gehen, die Leute fragen, um mehr über das aktuelle Wesen der Stadt und über die individuellen Sehnsüchte der Stadtbewohner zu erfahren. Es ist ja nicht allein die Wiederentdeckung der Geometrie oder ein in sich geschlossener Lebensraum, in welchem viele Leute auf engbegrenztem Raum leben. Vermutlich als Folge von Corona taucht in unseren Köpfen ein traditionelles Stadtbild auf: mit bewegten öffentlichen Plätzen, wo man sich treffen, austauschen oder einfach nur genüsslich vor sich hin schwelgen kann.
In Politik, Wirtschaft und Wissenschaft ist man sich einig: Unsere Zukunft entscheidet sich in der Stadt. Ende des 21. Jahrhunderts werden 70 Prozent der Menschheit in Städten angesiedelt sein. Das bedeutet, die Stadtplanung von heute bestimmt ihre Überlebenschance von morgen. Nur, wie ist es möglich, mehr als 75 Jahre im Voraus zu sagen, wie das Zukunftsmodell «Stadt» aussehen wird oder welche Vehikel diese brauchen wird, um permanenzfähig zu bleiben?
Wer kann schon mit Sicherheit voraussagen, was in mehr als sieben Dekaden in unseren Städten los sein wird? Es stellt sich im Hier und Jetzt die Frage, wieso die Stadt so beliebt ist. Die Antwort liegt wahrscheinlich in den Gegenwelten, in der Ambivalenz von Stadt und Land. Die Stadt bietet uns ein Abbild von einem vibrierendem Tun, getragen von farbigen, dynamischen Bildern, die uns umgarnen, von Dichte und Erlebnissen. Auf dem Land ist es das Eintauchen in Gemächlichkeit, in Ruhe, ins Alleinsein. Es bietet Raum für die Rückbesinnung auf uns selbst. Vielleicht haben wir auch Angst, dem Land seine schönsten Seiten zu ruinieren mit Überbevölkerung, mit Hektik, mit dem Aufbrauchen von Landreserven oder mit dem alles überrollenden Verkehr. Und doch gibt es viele gute Gründe, in der Stadt sesshaft zu werden.
Ist die Landflucht überhaupt noch so omnipräsent, wie es in den letzten Jahren den Anschein machte?
Ich glaube, der Zenit der Faszination für die Stadt ist überschritten. Es ist zwar nur ein Gefühl, aber gerade in Zürich war bis vor kurzem die Toleranz gegenüber Dichte, Lärm, Verkehr eine grosszügige; diese hat aber merklich abgenommen. Das kleinkarierte Denken von dem, was rechtens ist, nimmt gerade in der von Corona diktierten Attitüde des Überwachens der Freizügigkeit ein bisschen den Atem. Nun sollen gar «Lärmblitzer» für mehr Ruhe im Stadtraum sorgen. Es besteht die Absicht, mit neuen Massnahmen Oasen der Beschaulichkeit zu schaffen. Und damit entzieht man der Stadt nach und nach jene Eigenschaften, die eben gerade das urbane Leben ausmachen: Dynamik, Farbigkeit, Heiterkeit und Dichte. Damit verschwinden auch viele Geschichten, die vom Leben geschrieben werden.
Fehlt es der Stadt denn zunehmend an Identitätsstiftendem?
Individualisierung, Diversität, Identität, Authentizität sind Begriffe, die sich in unser Alltagsvokabular eingeschlichen haben. Alle halten ihre Identität für etwas ganz Kostbares, gleichzeitig will sich niemand auf irgendetwas festlegen. Wir haben unser Repertoire des Ausweichens schnörkellos optimiert. Dabei täte es der Stadt und uns gut, sich wieder mal gründlich über etwas zu empören und auszubrechen aus den Nebelverfinsterungen von abstrakt-moralischen Auflagen.
Sind der Stadt die Ideen ausgegangen für ein sinnstiftendes, herzliches Miteinander?
Ich hoffe nicht, obschon es schon sehr erstaunt, wie brav wir geworden sind und vieles hinnehmen ohne wirklich zu hinterfragen. Im Kontrast dazu: Auf dem Zürcher Sechseläuteplatz pulsiert das Leben, als wäre nichts geschehen und das tut auch irgendwie gut. Der Stadtplan für das Seelenheil muss ja nicht gleich überall in die Finsternis führen. Die Kardinalsfrage sei erlaubt: Wie sieht das Stadtleben post Corona aus, also nachher?
Wann ist nachher?
Wer weiss das schon. Nun, der Weg zurück in die Normalität wird in ein verändertes Leben in der Stadt führen. Wir haben uns an die angenehmen Dinge gewöhnt, die Corona uns beschert hat: das Homeoffice, das Wegfallen der langen Arbeitswege, das Erkennen der Vorteile, die eine Telefonkonferenz bringt. Und dann natürlich das Angebot der Gastronomie, das via Take-away an Kreativität gewonnen hat. Die Chance besteht darin, neue Ideen zu entwickeln, mehr zu improvisieren: mit wenig viel zu bewegen. Eine Änderung wird es geben. Aber welche? Wer weiss schon, was sich wie verändern wird. Einzig die auf den Plan gerufenen Hühneraugenheilkünstler werden ganz klar wissen, wo’s künftig langgehen wird.
Homeoffice: Fluch oder Segen?
Mit den von Corona auferlegten Zwängen hat man Wege gefunden, die trotz Abgeschiedenheit Spass machen. Es ist ein kleines Privileg, wenn man während vier Tagen in der Woche daheim arbeiten kann. Dies vorzugsweise im eigenen Ferienhaus, wo man über die Mittagszeit noch kurz eine elegante Spur in den Pulverschnee legen kann, um dann am Freitag schnell im Büro der Firma vorbeizuschauen. Dieser Sonderstatus hat alle guten Vorzeichen, sich widerspruchslos zu etablieren.
Aus früheren Gesprächen mit Ihnen weiss ich, wie stark Sie sich dafür engagieren, das Gewerbe in die Stadt zurückzubringen mit der klaren Absicht, es «salonfähig» zu machen. Mit welchen Instrumentarien wird Ihnen das gelingen?
Die Idee «Manufakt» wurde von Steiner als Produkt, als Marke für eine neue Generation von Gewerbe- und Dienstleistungsgebäuden entwickelt. Der erste Manufakt-Habitus steht in Altstetten und ist im Rohbau fertiggestellt. Für andere Städte stehen wir in der Phase der Planung und Entwicklung, um an spezifischen Orten die Bedürfnisse der lokalen Gewerbecluster einfliessen zu lassen. Die Idee des Manufakt-Konzepts wird überall ersichtlich sein. Ohne einer stereotypen Bauweise zu huldigen. Manufakt soll in erster Linie von sinnstiftenden Inhalten geprägt sein. Angesagt sind Räume für Begegnungen… Möglichkeitsräume, sogenannte «Shared Spaces», wo neue Beziehungen und lebendige Dialoge «freie Sicht aufs Mittelmeer» haben. Wir wollen Vordenker sein für einen Wandel hin zum Gemeinsinn und dem Gewerbe den Weg in die Stadt ebnen.