Matthias Kalt spricht die Sprache der Natur. Man merkt es schnell an der Art, wie er über sie redet; voller Bewunderung und Leidenschaft – und mit einer gewissen Demut, was gerade in der heutigen Zeit, in der sich der Mensch die Natur immer mehr und mehr zu eigen macht, eine besonders rare und lobenswerte Eigenschaft zu sein scheint.
Seine Fotografien spiegeln all das wider: Matthias Kalt gelingt es, mit seiner Kamera die archaische Erhabenheit der Natur einzufangen, die ihre Vollendung in ihrer Unvollkommenheit findet. Wabi-Sabi nennen es die Japaner, die Schönheit der Imperfektion. Oder im Original etwas poetischer formuliert: «Nicht die offenkundige Schönheit ist das Höchste, sondern die verhüllte, nicht der unmittelbare Glanz der Sonne, sondern der gebrochene des Mondes.»
Matthias Kalt macht Momentaufnahmen einer stillen Natur, die viele Menschen in ihrer hektischen, reizüberfluteten Welt kaum mehr wahrnehmen. Oder ist es die Natur, die sich, sobald Matthias mit seiner Kamera auftaucht, ganz speziell für ihn in ihrer ganzen Schönheit zeigt und ihm ihr Innerstes offenbart? Gerade scheint der Gedanke gar nicht so absurd …
Matthias Kalt, wann ist ein Bild für Sie gelungen? Ist es die Perfektion oder eben ihr Gegenteil?
Weder noch. Perfektion allein ist bedeutungslos. Betrachtet man Kunst als die höchste Form der Kommunikation, so wird schnell klar, was ich damit meine. Lassen Sie es mich an zwei Beispielen der Musik erläutern. Eine technisch versierte Pianistin kann mit der perfekten Wiedergabe eines komplexen Stücks ihr Publikum zweifellos beeindrucken. Eine Meisterin hat aber zusätzlich die Bereitschaft und die Fähigkeit, durch ihre persönliche Interpretation, ihr leidenschaftliches empathisches Spiel eine Tür zur Seele zu öffnen und damit ihr Publikum tief zu berühren. Das wird ihr auch mit einem einfacheren Stück gelingen und es muss nicht einmal technisch fehlerfrei gespielt sein. Oder nehmen wir Chris Martin, den charismatischen Sänger der Gruppe Coldplay. Ist seine Stimme perfekt? Trifft er immer alle Töne makellos? Nicht wirklich – dennoch berühren seine Songs ein Millionenpublikum auf der ganzen Welt.
Die Imperfektion in allen Ehren, aber Hand aufs Herz: Hie und da retuschieren auch Sie bestimmt da und dort ein kleines Detail oder passen die Farben ein wenig an …
Auch die besten Objektive ermöglichen keine absolute Objektivität in der Fotografie. Zwar nimmt in Zeiten von KI die Echtheit einer fotografischen Aufnahme einen besonders hohen Stellenwert ein, aber es ist schlussendlich immer meine subjektive Wahrnehmung und Erinnerung, die bestimmt, wie ein Bild, das ich – früher analog, heute digital – entwickle, im Sucher ausgesehen hat. Ich retuschiere auf meinen Bildern aber höchstens Dinge, die nicht zum Bild gehören. Zum Beispiel leuchtend orange Kugeln eines gestrandeten Fischernetzes, das achtlos ins Meer geworfen wurde und so eine an sich unberührte Naturszene verunstaltet. Oder ein Pickel auf einem Porträt; auch er ist eine temporäre Erscheinung, die nicht der ständigen Realität entspricht. Eine Falte im Gesicht würde ich hingegen nie entfernen; sie zeugt von Leben, von Erfahrung, von Einzigartigkeit. Farben bearbeite ich in meinen Bildern nur insofern, dass der digitale Sensor einer Kamera ja nicht gleich «sieht» wie das menschliche Auge _ aber meine Augen sehen wieder anders als Ihre, also ist auch hier eine Portion Subjektivität zwangsläufig enthalten. Ich versuche, in meinen Bildern das festzuhalten, was ich im Moment des bewussten Blicks durch den Sucher sehen konnte und mit meiner subjektiven Interpretation zu transportieren, was ich dabei empfunden habe. Der Betrachter soll genau dasselbe sehen und – wenn ihn das Bild berührt – etwas Ähnliches dabei empfinden. Ich möchte also einen privilegierten Moment weitergeben.
Sie sind viel in der Natur unterwegs und treffen auf zahlreiche wunderschöne Landschaften. Welche Landschaften kommen auf Ihre Aufnahmen _ und welche nicht?
Der bekannte Philosoph Alain de Botton, dessen Bücher ich sehr schätze, sagte einmal, dass es einen grossen Unterschied zwischen «a beautiful landscape» und «a sublime landscape» gibt. Eine schöne Landschaft mag mich zwar kurzfristig erfreuen, der Anblick einer erhabenen (sublime) Landschaft berührt jedoch mein Innerstes.
«Sie kreieren Zwischenwelten», schreiben Sie auf Ihrer Website. Wie definieren Sie Zwischenwelten?
Zwischenwelten bedeutet für mich das Verschwimmen von abstrakter Malerei und Grafik mit der Fotografie. Ein Freund von mir, Thomas Grogg, ist Kunstmaler. Seine Gemälde sehen von Weitem betrachtet wie Naturlandschaften aus, aber wenn man sich ihnen nähert, sieht man, dass es sich dabei um rein abstrakte Malerei handelt. Bei meinen Bildern strebe ich oft eine umgekehrte Dualität der Wirkungen an: Von Weitem gesehen denkt man an ein abstraktes Gemälde oder an eine grafische Komposition und erst, wenn man nahe an das Bild herantritt, sieht man: es ist die Natur, die das gezeichnet hat.
Mit welchem Künstler, er kann auch verstorben sein, würden Sie gerne mal bei einem Spaziergang um den Zürichsee einen intensiven Gedankenaustausch machen?
Mit Annie Leibovitz.
Das passt zu meiner nächsten Frage. Die berühmte Fotografin sagte nämlich einmal: «A thing that you see in my pictures is that I was not afraid to fall in love with these people.» Empfinden Sie ebenfalls eine solche Liebe zur Natur, dem Objekt Ihrer Fotografien? Oder ist es die Neugier, die Sie treibt?
Annie Leibovitz hat völlig recht. Um aussergewöhnliche Bilder einzufangen, braucht es eine tief empfundene Zuneigung, ein starkes emotionales Band, das den Fotografen mit dem «Objekt» verbindet. Es braucht viele Jahre, um zu erkennen, wofür das Fotografenherz wirklich schlägt _ etwas, das Anfänger in der Fotografie oft verzweifeln lässt. Annie Leibovitz Herz schlägt für Menschen. Ihre Porträts sind einmalig.
Matthias Kalt Photography
www.matthiaskalt.com