Tapetenwechsel wider das Normale

Freitag. 15 Uhr. Die Autobahnen und grossen, spinnenförmigen Zubringer sind bereits hoffnungslos verstopft. Am Freitag – das scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein – machen viele in Zürich und in der Agglo bereits zu früher Nachmittagsstunde den Laden dicht. Ich habe mich entschieden, meinen Ankunftsort auf Nebenstrassen zu erreichen. Glück gehabt, ohne «Verstopfung» durchgekommen. Mein Navi signalisiert eine verbleibende Wegstrecke von 200 Metern. Ziel: Widenbüelstrasse 5b in Unterengstringen. Klingt ja nicht gleich nach Fifth Avenue, New York. Ich biege nach links ab in ein unscheinbares Seitensträsschen im Westentaschenformat. Et voilà: Rundum Beschaulichkeit pur. Fachwerkhäuser wie aus einer Gegenwelt zur amerikanischen Giga-Metropole. Spielende Kinder. Umsorgende Mütter. Bellende Hunde. Eine neugierige Katze und eine ältere Dame, die gleich wieder hinter dem Vorhang verschwindet. Das ist alles. Eine Szene wie sie sich in der urbanen Agglomeration weit weg vom hektischen Stadtleben täglich wiederholen kann.

Diese Beschaulichkeit wird mich in der nächsten Stunde liebevoll begleiten. An diesem Ort, wo die Uhrzeiger scheinbar langsamer drehen und sich ein Gefühl von Gemütlichkeit einschleicht, sobald man aus dem Auto aussteigt, treffe ich Franziska Zuber und Thomas Salzmann. Sie stehen schon vor der Haustüre. Sie winken. Herzlich. Ihr Haus ist gleichermassen Wohn- wie Arbeitsraum. Produziert wird im Untergeschoss in einem Raum, der im Normalfall wohl das Etikett «Luftschutzraum» tragen würde und kaum grösser ist als drei auf vier Meter. Hier entsteht das, was sonst nur in grossen Fabrikhallen produziert wird.

Erstes Fazit: Hier wohnen keine Normalos. Im wahrsten Sinne Wortes mache ich die Bekanntschaft mit zwei Kunsthandwerkern, die mit hohem Fieber von ihrem Metier infiziert sind. Achtung Ansteckungsgefahr! Zuber und Salzmann fabrizieren Tapeten von Hand. Von der ersten Serviettenskizze, dem finalen Entwurf, der richtigen Wahl der Farben, dem Übertragen des Sujets und dem Schnitzen des Stempels aus Lindenholz bis hin zum eigentlichen Akt der Produktion. Der mit Farbe belegte Stempel wird per Muskelkraft auf den Träger, also auf ein Spezialpapier, gedrückt, bis die Farbe eindringt. Anders als bei der seriellen Verarbeitung von Tapeten, bei der jeder Druckrapport dem andern gleicht, wird hier das Sujet Stempel für Stempel appliziert. Die Imperfektion der einzelnen Abdrücke ist eben gerade jener Charme, der gewollt aufs Papier gebracht werden soll. Franziska Zuber und Thomas Salzmann haben sich vor rund vier Jahren dafür entschieden, dem Handwerk und Herstellen von Tapeten eine grössere Bedeutung zu geben. Ihr Rucksack ist mit viel Berufserfahrung bepackt. Sie sehen sich in der Rolle der Kunsthandwerker. Mit Fug und Recht. Ihre Arbeiten finden bereits in musealen Gebäuden Unterschlupf.

Zuber & Salzmann mitten in der Berliner Kunstszene
Mit ihrer Wallpaper-Art haben sie es bereits ins Berliner Direktorenhaus, dem Museum für Kunst und Handwerk, geschafft – und das mit einem szenographisch inszenierten Panel. So liest sich der Leitgedanke bei der Ouverture der Berliner Ausstellung «Radical Craft 3» am 1. Oktober 2021. Hat das Kunsthandwerk, die «kleine Schwester der Kunst», in den letzten Jahren eine kreative Explosion erlebt? Sie ist jedenfalls immer mehr in den Fokus der Arbeit zahlreicher Künstler und Designer gerückt, sodass die Grenze zwischen Kunst und Handwerk immer mehr verschwommen ist. Die junge Generation, die sich heute digitalen Produktionsprozessen widmet, beschäftigt sich neugierig mit der Vielfältigkeit der Materialien, mit alten und neuen Techniken und Herstellungsprozessen. Altes wird wiederentdeckt und weiterentwickelt oder in einen ganz anderen Zusammenhang gesetzt.
Weil unser Gespräch im Stile eines Interviews geführt worden ist, sei dem Leser auch eine gute Dosis an Originaltönen gegönnt.



Frank Joss: Welcher Auftrag erfüllt Sie heute noch mit einer feinen Portion Stolz?

Franziska Salzmann: Für ein Mini-Loft-Studio in Zürich durften wir ein ganz spezielles Konzept umsetzen. Gewünscht wurden Wände in Beton-Optik. Da es sich um ein Mietobjekt handelte und wir möglichst wenig Struktur auftragen durften, haben wir uns für eine gemalte Betonimitation entschieden. Zwei Wände des Studios wurden so neu gestaltet und verleihen dem Raum heute eine neue Identität, angelegt an der Brutalismus-Architektur der 50er-Jahre. Eine dritte Wand, die zwischen zwei Fensterfronten liegt, haben wir nachträglich mit einer von uns entworfenen, von Hand gedruckten Tapete versehen. Das Design, welches an Verner Panton erinnert, harmonisiert mit dem designaffinen Einrichtungsstil des Klienten.

Frank Joss: Versteht sich Zuber & Salzmann als eine Art Manufaktur für Tapeten?

Thomas Salzmann: Wir sind mehr als nur eine Manufaktur für handgemachte Tapeten. In der Zusammenarbeit mit Design-Studios, Innenarchitektur- und Architekturbüros sowie mit Gestaltern wollen wir neue Möglichkeiten und Möglichkeitsräume gestalterisch umsetzen.

Zuber & Salzmann verstehen sich als Raum-Künstler.
Franziska Zuber, Gestaltungspädagogin iac SVEB, und Thomas Salzmann, mit jahrelanger Erfahrung im handwerklichen und künstlerischen Schaffen, verbinden in ihrer Arbeit das Handwerkliche und Traditionelle mit hohem künstlerischen und gestalterischen Einfluss. Mit Holzstempeln von zeitgenössischem Design schaffen sie Tapeten zwischen Tradition und Contemporary Art. Die Vorarbeiten und der Druckvorgang werden ausschliesslich von Hand getätigt. Dadurch entstehen, verursacht durch die ungleichmässige Druckverteilung, Farbabrisse innerhalb des Druckbildes. Durch diese Imperfektion wird das Charaktervolle, das gewisse Etwas in ihren Arbeiten generiert. Und man versteht, warum die beiden anlässlich der «Blickfang 2019» den Design-Preis gewonnen haben.

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