Jean Tinguely ist kein Künstler, den man zufällig in der Wühlkiste entdeckt. Dafür ist seine Kunst zu sperrig, kantig, rostig, massig; einfach zu eigenständig und unaustauschbar. Man kommt an ihr nicht einfach spurlos vorbei. Jetzt kann man Tinguely in der Atelier Bar begegnen. Seine Kunst grüsst unmissverständlich von der Decke.
Draussen herrschte der unerbittlich und heftig geführte Zürcher Opernhauskrawall, derweil drinnen, in der Chefetage der Bank Julius Bär, Aufbruchstimmung spürbar war. So entstand 1981 unter der Ägide von Hans J. Bär die Idee, Kunst zu erwerben und in den Räumlichkeiten der Bank auszustellen. Dies verbunden mit der Absicht, jungen Kunstschaffenden eine Plattform zu bieten, die noch nicht auf dem Parkett internationaler Kunstetablissements gelandet waren. Bis heute ist es in der Corporate Culture von Bank Julius Bär unauslöschlich verankert, aufstrebende Künstler zu fördern und sie über ihre Karriere mit weiteren Ankäufen zu begleiten. Im Fundus der Bank befinden sich viele Werke berühmter Künstler. So zum Beispiel die Lampenskulpturen von Jean Tinguely. Vier davon beleuchten nun die Zürcher Atelier Bar. Wir trafen Barbara Staubli, Curator Art Collection der Bank Julius Bär, um von ihr zu erfahren, wie Jean Tinguely zu Julius Bär und von da ins Rampenlicht der bekannten Zürcher Bar kam.
Frank Joss: Barbara Staubli, Kunst ist Ihr Metier, wie war der Weg dahin?
Ich habe Geschichte und Kunstgeschichte studiert. Bereits während des Studiums wurde mir bewusst, dass mein Herz für die bildende Kunst höher schlägt. Durch meine Arbeit in verschiedenen Galerien für zeitgenössische Kunst erhielt ich die Möglichkeit mit Kunstschaffenden zusammenzuarbeiten und sie in ihren Projekten zu unterstützen. Für mich ist die zeitgenössische Kunst ein sehr spannendes Feld, gerade wegen dem Dialog mit den Künstlern. Seit 2014 bin ich für die Julius Bär Kunstsammlung verantwortlich.
Statt in der Galerie am Paradeplatz, im Helmhaus oder imMuseum für Gestaltung Kunst zu zeigen, kuratieren Sie in einer Institution, die prima vista nicht viel mit Darstellen der Kunst zu tun hat: bei Bank Julius Bär. Ist dadurch der Umgang mit Kunst ein anderer?
Die Julius Bär Kunstsammlung ist ein wichtiger Teil der Unternehmenskultur. Die über 5000 Kunstwerke sind grösstenteils in den Räumlichkeiten der Bank rund um den Globus installiert und die Mitarbeitenden des Unternehmens werden tagtäglich direkt mit Kunst konfrontiert. Insofern nimmt die Vermittlung der Sammlung einen ganz besonders wichtigen Stellenwert ein. Am Hauptsitz in Zürich können die Mitarbeitenden auch von den erhältlichen Kunstwerken eines für das eigene Büro aussuchen. So entsteht, anders als in einem Museum oder einer Kunstgalerie, oft ein persönlicher und nicht selten langjähriger Bezug zu einem Kunstwerk.
Wie kam es zur Liaison zwischen Julius Bär, Tinguely und der Atelier Bar?
Die Freundschaft zwischen Jean Tinguely und dem damaligen Mitglied der Geschäftsleitung Peter J. Bär war der Grundstein, dass der für seine Eisenskulpturen bekannte Künstler 1983 im Auftrag der Bank elf Lampenskulpturen für die damalige „Cafeteria zur Münz“ anfertigte. Nach der Schliessung des Cafés 2003 wurden die Kunstwerke in die Julius Bär Kunstsammlung aufgenommen. Mit der Atelier Bar haben wir einen passenden, kunstbegeisterten Partner gefunden, um die mit tanzenden Federn und farbigen Lämpchen versehenen Leuchten wieder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Jean Tinguely hat sich selber als Künstler des «Unnützen» bezeichnet. Was nützt er nun den Gästen der Bar?
Jean Tinguely hat durchaus Nützliches geschaffen, beispielweise neben den Lampenskulpturen 1983 für das Projekt auch Kleiderhaken. Den Zürchern war der Künstler bis dahin vor allem durch seine kinetische Plastik „Heureka“ bekannt. Im Vergleich zu dieser monumentalen Maschine ohne ersichtlichen Zweck überraschen die Lampenskulpturen durch ihre klar definierte Funktion der Raumbeleuchtung.
Von Tinguely kennt man vor allem Werke, die er mit seiner Lebenspartnerin Niki de Saint Phalle realisiert hat: den Fasnachtsbrunnen in Basel oder den Stravinski Brunnen neben dem Centre Pompidou in Paris. Wo aber wurden die Lampenskulpturen ausgegraben?
Die insgesamt elf Lampenskulpturen der ehemaligen „Cafeteria zur Münz“ sind seit 2003 in den Räumlichkeiten von Julius Bär in Altstetten installiert. Neben dem Zürcher Projekt erstellte Tinguely 1987 im Auftrag eines japanischen Unternehmers eine weitere Lampeninstallation in Kyoto und 1991 folgte die Ausstattung der Bar „Le Tinguely“ im Hotel Palace in Lausanne. Leider ist keine der erwähnten Installationen im Originalzustand erhalten. Einige Lampenskulpturen aus dem „Café Kyoto“ sind im Museum Tinguely zu besichtigen.
Bei einer Pressekonferenz mit Christoph Schlingensief in Zürich hat sich eine Aussage von ihm in meinem Erinnerungsfundus eingeprägt: «Kunst ist erst dann interessant, wenn wir vor irgendwas stehen, das wir nicht gleich restlos erklären können. Welches Verständnis werden von den Lampenskulpturen ausgelöst?
Die Lampenskulpturen haben zwar eine Funktion, doch wird diese auf eine sehr verspielte, sinnliche Art und Weise erfüllt. Die Leuchten strahlen eine gewisse Nonchalance und Leichtigkeit aus, dabei handelt es sich um je 100 kg schwere Objekte.
Oder anders gefragt: Welche erste Erfahrungen haben Sie mit der Kunstinstalltion in der Atelier Bar gemacht?
Wir haben sehr viel positive Rückmeldungen erhalten.
Sind Sie und Ihre Bank auf gutem Weg, mit Tinguely aus dem Dunstkreis der ansonsten «geschlossenen Kunstgesellschaft» herauszutreten?
Wir versuchen mit verschiedenen Initiativen die Kunstsammlung zu vermitteln. So haben wir kürzlich auch eine neue Website über die Sammlung lanciert (artcollection.juliusbaer.com). Mit der Platzierung der Lampenskulpturen in der Atelier Bar freuen wir uns, diese einmaligen Werke einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Mit welchen Worten oder Gedanken erklären Sie Ihrem Patenkind, was hier von der Decke herunterhängt.
Jean Tinguely sagte einst, seine Kunst verstehe jedes Kind. Tatsächlich haben Kinder oft einen ganz unmittelbaren, eigenen Zugang zur Kunst.
Letzte Frage: Welchen Drink haben Sie sich bei der Eröffnung bestellt? Einen Hemingway – das Lieblingsgetränk von Tinguely oder doch vielleicht einen einfachen Weisswein – den Freiburger Château de Praz Vull – den er sich täglich gönnte?
Ein Glas Wein.
atelierbar.ch