Sie werden pink. Auf jeden Fall werden sie pink. Nicht lavendelblau oder violett, die ja als die schönsten Farben des Jahres 2018 gekürt worden sind. Nein – die Festspiele Zürich 2018 mit dem grossen Überthema Schönheit/Wahnsinn werden pink. Aber warum? Darauf kann mir niemand besser als Belén Montoliú Antwort geben.
Es ist ein strahlender, kühler Morgen, als ich das schmale historische Treppenhaus in der Rämistrasse 4 hinaufsteige. Hier oben, über den berühmten zwei Etagen des Restaurants „Kronenhalle“, liegt das Büro der Festspiele – fast ein bisschen versteckt, wie ein Adlerhorst und doch mitten im Herzen der Stadt. Ein idealer Rückzugsort also und Kreativlabor zugleich. Zwei Jahre wurde hier gewerkelt, gebastelt, verknüpft, verworfen, anders gedacht, neu gedacht, und jetzt sind sie da, die Festspiele Zürich 2018. Hier treffe ich Belén Montoliú, die seit 2016 als Kuratorin mit ihrem Team die Fäden der neuen Festspiele spinnt, die sich in der heutigen Form aus den einstigen Juni-Festwochen entwickelt haben und die nun im zweijährigen Rhythmus stattfinden werden. Wir nehmen am runden Tisch Platz gleich neben der Pinnwand mit den unzähligen papiergewordenen Gedankensplittern und Entwürfen.
Als Erstes fallen mir an der gebürtigen Spanierin aus Madrid die grossen ausdrucksstarken Augen auf. Als Nächstes das bewegliche, fast tänzerische Spiel ihrer feingliedrigen Hände. Und dann ihr Lachen. Herzhaft, ansteckend, natürlich. Das jeweils wie ein kleine Befreiung wirkt zwischen all den ernsthaften Fragen. Ihr Deutsch ist ausgezeichnet, hat sie doch nach dem Studium der Bildenden Kunst in Madrid auch noch Kostümbild in Berlin studiert und arbeitet in beiden Ländern seit vielen Jahren erfolgreich als Bühnen- und Kostümbildnerin. Doch was hat es nun mit dem Pink auf sich, das die diesjährigen Festspiele farblich dominieren wird? „Darin steckt das Rosa der Märchen“, erklärt Belén. „Der schönen Märchen natürlich“, setzt sie lächelnd hinzu. „Wir haben gedacht, es passt einfach gut zur Thematik. Vor allem, weil es keine süsse Farbe ist. Es ist ein dunkleres, tieferes Pink, das noch nicht rot ist und damit noch nicht im Wahnsinn landet. Es ist eine mittlere, vermittelnde Farbe, die für beide Begriffe geeignet ist. Nicht zu rosa und noch nicht zu rot.“ So einfach ist das also.
Und dann sind wir schon mittendrin im Ausloten der Begrifflichkeit des Festival-Titels und seiner vier Untertitel Schönheitsideal, Selbstoptimierung, kreativer und pathologischer Wahnsinn. Drei Wochen lang ist das Publikum eingeladen, sich in den insgesamt dreissig beteiligten Kultureinrichtungen auf Spurensuche zu begeben, nachzuspüren und zu hinterfragen, was Schönheit ist und was Wahnsinn. „Wir werden keine Definitionen geben“, betont die Kuratorin. „Wir wollen, dass die Leute zu den Events gehen und sich fragen: Gefällt mir das oder gefällt mir das nicht? Und warum gefällt mir das nicht? Was hat diese Kunstinstallation oder dieses Theaterstück mit mir zu tun? Alles, was wir ausgesucht haben mit unseren Kooperationspartnern in Rapperswil, Kilchberg und Zürich, die Symposien, Ausstellungen, Performances, Konzerte, zielt genau darauf ab: Stell dir selbst die Fragen.“
Und so kommen wir vom einen ins andere. Belén Montoliú erzählt, antwortet, reflektiert. Darüber, dass Kunst die Kraft hat, den Alltagswahnsinn zu durchbrechen – und sei es nur für Minuten. Dass zum ersten Mal ein Festspiel-Zentrum installiert wird – mitten in der Stadt und ganz in Pink natürlich! – mit einem begehbaren Wald im Inneren. Dass die Festspiele Flagge zeigen wollen mit sichtbarer Präsenz und Gratis-Events, damit die Menschen in der Stadt erfahren können: Ich bin ein Teil der Kunst, ein Teil dieser Kultur hier. Dass nicht alles in der Kunst Ästhetik ist und man nicht alles akzeptieren kann, nur weil es schön ist. Dass es bei den Festspielen auch um innere Schönheit geht, wenn am Familientag sich ein hässlicher Nacktmull als zum Verlieben schön entpuppt. Dass man nicht so viel über Schönheit spricht, aber immer nach ihr suchen wird – auch in der Zukunft. Dass die Begriffe Wahnsinn und Schönheit in unserer Gesellschaft eine Umdeutung erfahren haben, weil der Wahnsinn, von Wahn kommend, meist nicht mit dem Krankheitsbild assoziiert wird, wenn wir etwas wahnsinnig toll finden und das Schöne allein durch die Betonung schön oder eben nicht schön sein kann.
Am Ende unseres Gespräches will ich es dann doch noch ganz genau wissen. „Was ist für Sie Schönheit?“ Belén Montoliú neigt den Kopf ein wenig, überlegt kurz, sucht nach dem passenden Wort. Lächelt dann. „Für mich hat Schönheit mit Selbstbewusstsein zu tun. Sich in sich wohl zu fühlen, sich schön zu fühlen, mit dem eigenen Leben klar zu kommen. Das ist unglaublich schwierig, denn wir alle müssen durch unseren Alltag und unsere Alltäglichkeit hindurchgehen. Aber wenn wir es erreichen, uns so zu fühlen, dann strahlen wir es aus. Und genau dieses Strahlen ist es, was die anderen spüren, diese Lebensfreude. Das macht schön.“ So einfach also und so schwierig zugleich. Weil es eben das Einfache ist, das so schwer zu erfüllen ist.
Ich trete hinaus auf die Strasse. Es ist ein wahnsinnig schöner Tag. Blau und golden. Und noch ganz ohne Pink. Noch.