Der alte Mann und seine Walnussbäume

Design & Kunst

04.07.2025
Frank Joss

6 Minuten

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Der alte Mann und seine Walnussbäume

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In der türkischen Stadt Bursa lebt ein alter Mann, Adem Gül. Bursa, am Fusse des Uludağ-Gebirges gelegen, war die erste Hauptstadt des Osmanischen Reiches und ist bis heute für ihre historischen Moscheen, Thermalquellen und Seidenproduktion bekannt. Adems Haar ist so weiss wie der Schnee auf den Gipfeln des Taurusgebirges, seine Hände dunkel vom Holzstaub, rissig vom Leben. Man kennt ihn weitherum als Baumflüsterer.

Seine Welt besteht aus Walnussbäumen – nicht Plantagenholz, nicht die Massenware. Es handelt sich um alte, knorrige Wesen, langsam gewachsen über Generationen. Einige davon sind beinahe 300 Jahre alt. Ihre Stämme verdreht vom Wind, ihre Rinde wie Landkarten der Zeit. Wenn der alte Mann durch den Hain geht, spricht er mit ihnen. Nicht mit Worten, sondern mit Blicken, Gesten, mit einem inneren Gespür, das man nicht erlernen kann. Es ist, als höre er ihre Geschichten. Und vielleicht ist es auch so. Manche behaupten, er könne mit Bäumen sprechen. Sie würden ihm zuflüstern, wenn sie müde sind. Er lege dann seine Hand an den Stamm, schliesse die Augen – und warte. Oft minutenlang. Danach wisse er, ob der Baum bleiben oder gehen wolle. Er nennt das nicht Magie, er nennt es Zuhören.

Er weiss, welche Bäume bereit sind zu gehen. Er fällt sie nicht, er begleitet sie – respektvoll. Dann beginnt das Warten. Er lagert das Holz, lässt es ruhen, lässt es atmen. Jahre vergehen. Kein Maschinenlärm, keine Hast. Er zeigt das Holz nicht jedem, aber wer sein Vertrauen gewinnt, darf eine Platte sehen – aus einem Stamm, der einst im Schatten der Berge gewachsen ist. Die Maserungen schimmern wie Flussläufe, dunkle Adern durch helles Fleisch. Narben, Windrisse, Wachstumsringe – jede Fläche ein stilles Gedicht. Wer besonders achtsam ist, der spürt: Dies ist mehr als Holz. Dies ist Erinnerung, eingefroren in Jahresringen. Der alte Mann verkauft nicht, er übergibt. An Tischler, die wissen, was sie in Händen halten. Die genau hinhorchen, bevor sie sägen. Die nicht nur einen Tisch sehen, sondern eine Geschichte. «Aber der Mensch ist nicht dafür gemacht, um zu verlieren», hatte Santiago, der alte Fischer aus Hemingways Geschichte, einst gesagt. «Ein Mensch kann vernichtet werden, aber nicht besiegt.» Auch dieser alte Mann kennt das Ringen mit der Zeit, das leise Schwinden der Kräfte. Doch wie Santiago im Boot auf dem Meer hält er stand. Still, unbeirrbar, mit einer Würde, die man nicht lehren kann. Was bleibt, ist nicht Sieg oder Niederlage – sondern Haltung. Und ein Tisch aus Walnussholz, der davon zu berichten weiss.

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Von zwei Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und die dennoch die gleiche Vision teilen

Männer, die man normalerweise nicht gemeinsam antrifft, sind ausgezogen, um ihre Idee, Menschen einander wieder näher zu bringen und sie an einen Tisch zu führen, schöne Wirklichkeit werden zu lassen. Verpackt in Gegenwelten, die respektvoll miteinander umgehen.

Der Philosoph auf der Suche nach dem Sinn des Lebens

Der eine, Hakan Issever, geht tiefen philosophischen Fragen an das Leben nach. Er ist sich dabei sehr bewusst: Für den Sinn des Lebens gibt es keine allgemeingültige Antwort. Sie ist oft abhängig von der persönlichen Weltanschauung. Manche sehen den Sinn als vorgegeben. Andere als Aufgabe zur Selbstentfaltung. Er hat sich mit dem Gedankengut bedeutender Philosophen und Literaten auseinandergesetzt. Ausgangspunkt waren bedeutungsschwangere Gedanken an unser Sein und Unsein. In einer Zeit, in der die Menschheit vor globalen Herausforderungen wie der Klimakrise, der rapiden Entwicklung künstlicher Intelligenz und der zunehmenden Verwischung von Realität und Simulation steht, wird für Hakan Issever die Frage nach dem Sinn des Lebens erneut drängend. Während technische Lösungen in nie gekanntem Tempo entstehen, bleibt offen, wohin sie führen – und wozu. Er zitiert dabei den Philosophen Rumi: «Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort. Dort treffen wir uns.» Er mag die Tiefe des Dichters und Philosophen: «Er lehrt uns, dass wahre Erkenntnis nicht im Urteil, sondern im Herzen wohnt. Er sprach in Bildern der Liebe, tanzte mit Worten durchs Unsichtbare – und öffnete Räume, in denen die Seele atmen darf.»

Schliesslich hält er sich auch an die These von Erich Fromm: «Sinn durch Sein, nicht Haben. Der moderne Mensch lebt entfremdet, weil er sich über Besitz statt Beziehung definiert. Die Klimakrise und die Digitalisierung zwingen uns zur Neuverhandlung unserer Identität. Fromms Humanismus bietet eine Perspektive jenseits der Technik: Sinn liegt in der Beziehung – zum Mitmenschen, zur Natur, zum eigenen Inneren.»

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Der Tischmacher – eine Feier der Tiefe

In einer Welt, in der alles beschleunigt ist, digital und aufpoliert, wirkt seine Werkstatt wie ein Anachronismus. Kein Bildschirm flimmert, keine smarte Oberfläche blinkt, kein Soundtrack dröhnt aus Lautsprechern. Stattdessen: das gedämpfte Atmen des Holzes, der tiefe Duft jahrhundertealter Walnuss, das rhythmische Schaben des Hobels. Hier arbeitet ein Mensch, der nicht produziert, sondern antwortet – auf das, was gewachsen ist, gealtert, gestorben und nun verwandelt werden will. Der Handwerker Timur Timirsultanov – man sollte ihn eher einen Tischmacher nennen – sucht nicht das perfekte Brett, sondern das Holz, das eine Geschichte in sich birgt. Jene Stücke, deren Maserung wie ein gelebtes Leben wirkt: mit Knoten, Rissen, dunklen Linien, die Wind und Jahreszeiten geschrieben haben. Es sind alte Walnussbäume, gefallen nach einem langen, stillen Dasein, die unter seinen Händen ein zweites Leben beginnen. Doch er fertigt nicht bloss Tische, er schafft Orte des Beisammenseins, der gemeinsamen Erinnerung, des Innehaltens. «Abendmahl-Stammtisch» nennt er ihrer beider Werk. Ein Tisch, gemacht für Menschen, die es satthaben, in Oberflächen zu leben. Er ist ein Statement gegen das Tempo der Timeline, gegen das Diktat der Optimierung, gegen die schleichende Erosion der Sprache, die sich in Emojis, Hashtags und Sprachschnipseln auflöst. An seinem Tisch sollen sich jene versammeln, die nicht mehr mithalten wollen, die den Glanz satthaben und stattdessen die Patina suchen. Menschen, die spüren, dass etwas verloren geht – nicht materiell, sondern menschlich. Die wieder sprechen wollen, ohne Filter. Die zuhören wollen, ohne Unterbrechung. Die sich begegnen wollen, nicht nur als Datenpunkte, sondern als Wesen mit Geschichte.

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Der Tisch von Hakan und Timur ist kein Möbelstück

Er ist eine Einladung zu einer neuen Zeitrechnung, in der Gespräche wieder Tiefe haben dürfen, in der das Teilen von Brot, Gedanken und Zweifeln nicht nostalgisch, sondern notwendig ist. Und so bleiben Timur und Hakan nicht nur Handwerker, sondern auch Hüter einer Hoffnung: Dass inmitten all der Reizüberflutung, des digitalen Rauschens, des rastlosen Fortschreitens noch Platz ist für das Wesentliche … und dass es manchmal genügt, einen Tisch zu bauen, an dem das Menschsein wieder eine Form findet.