Die Wiederentdeckung einer altbekannten Materie

Erlebniswelt

04.07.2025
Larissa Groff

6 Minuten

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Die Wiederentdeckung einer altbekannten Materie

Erlebniswelt

In Zeiten, in denen Teslas durchs Weltall fliegen, namenlose Roboter mehr auf dem Kasten haben als Da Vinci oder Einstein und einem sogar beim besinnlichen Waldspaziergang eine surrende Drohne über dem Kopf herumschwirrt, da sehnen wir uns doch manchmal wieder nach etwas mehr Natürlichkeit und Beständigkeit. Die Menschheit bemühte sich jahrzehntelang, alles moderner und trendiger zu gestalten. Stahl. Beton. Kunststoff. In diesen Zeiten wirkt ein Element wieder besonders lustvoll, das Holz. Ein Ast, ein Baum, eine idyllische Holzbank.

Ich stelle mir vor, wie ich voller Elan nach links in einen Trampelpfad einbiege, die Drohne kommt wegen der vielen ineinanderverkeilten Äste nicht durch. Ihr Surren wird immer leiser. Ha! Abgehängt!

Und da fühle ich sie um mich herum; die Idylle, die Ruhe, die Natur – und inmitten alldem steht eine Holzbank in einer Waldlichtung, die mich einlädt, mich hinzusetzen, um ein wenig meinen Gedanken nachzugehen.

Zugegeben, ganz so idyllisch geht’s im Felsenauer Holzbiegewerk der K. Winkler AG nicht zu; mit zahlreichen antiken, zugleich aber sehr beständigen Biegemaschinen – als wären sie für die Ewigkeit gebaut – und einem speziellen Dampfverfahren biegen Roman Winkler und sein 12-köpfiges Team das Holz in wunderbar dynamische Formen: rund, gebogen und wellenförmig. Der Laie wundert sich, welch sinnliche Formen das einst so starre Material annehmen kann. Durch die Hitze des Dampfes wird das Lignin, sozusagen der «Leim», der das Holz zusammenhält, ganz weich. Nun kann das Holz mithilfe von Pressen, Modellen und Zugblechen in die gewünschte Form gebracht werden. Diese Technik ist bereits hunderte Jahre alt und wurde schon im Bootsbau bei den Ägyptern eingesetzt. Der österreichische Designer und Möbelbauer Michael Thonet wandte im Jahr 1850 diese Praktik erstmals für die Formgebung von Stühlen an und kreierte so den weltbekannten Designklassiker des Wiener Kaffeehaus-Stuhls.

So wurde eine alte Technik neu interpretiert und fand Einzug in die Welt des Möbeldesigns. Das Verfahren hat zudem einen weiteren entscheidenden Vorteil: Beim Erhitzen auf über 100 Grad sterben Pilze und Bakterien ab, was das Holz vor Fäulnis schützt. Da die runden Formen aus einem einzigen Stück Holz entstehen, benötigt es zudem kaum oder, je nach Modell, gar keine Verleimungen, was die Lebensdauer der Objekte der K. Winkler AG zusätzlich verlängert.

«Im heutigen Diskurs um die Nachhaltigkeit wird oft von Recycling, Upcycling, Solarenergie oder Kreislaufwirtschaft gesprochen. Es geht dabei manchmal fast vergessen, dass die Ökologie auch in einem einfachen, aber umso wesentlicheren Begriff steckt: der Qualität – und der damit verbundenen Lebensdauer», meint der Inhaber der K. Winkler AG, Roman Winkler.

Ausserdem stamme ein Grossteil des verwendeten Holzes aus einem Umkreis von 15 Kilometern um Felsenau. Es werde also vor allem Schweizer Holz verwendet, weshalb das Unternehmen das HSH-Label trägt.

Der Inhaber führt das Unternehmen bereits in dritter Generation und man hört den Stolz aus seiner Stimme raus, wenn er über sein Holzbiegewerk spricht, wie bei jemandem, dessen Sprache lebendiger und einen Tick schneller wird, wenn er von einer Herzensangelegenheit spricht.


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Wir möchten noch ein klein wenig mehr wissen über dieses traditionsreiche Metier, das in zahlreichen Gärten, Fassaden, eleganten Interieurs wie in der stadtbekannten Widder Bar und sogar am Paradeplatz Einzug hält.

Herr Winkler, Ihre Objekte kommen grösstenteils ohne Verleimungen oder Verschraubungen aus. Einige Vorteile sind offensichtlich: das schönere Holzbild etwa, da der Faserverlauf durch das Biegen mit der Form des Objekts mitfliesst. Auch die Stabilität verbessert sich, wenn das Objekt nicht aus mehreren Einzelteilen besteht. Wo sind die Grenzen des Holzbiegens?

Wir haben in den letzten 80 Jahren diese Grenze stetig nach hinten verschoben – und werden das auch weiterhin tun. Wir haben unseren Fokus auf das Dampfbiegen gesetzt und sind deshalb in dieser Nische weltweit führend. Es gibt keine bessere Technik, Massivholz in solch elegante Formen zu bringen und ich sehe enorm viel Potenzial in diesem Metier. Wir werden also stetig weitertüfteln, die Prozesse verfeinern und unser Know-how vertiefen, damit wir auch in Zukunft das Holz in solch harmonische und zugleich überraschende Formen bringen können.

Gibt es Formen, bei denen Sie dennoch auf externe Hilfsmittel wie Schrauben und Leim angewiesen sind?

Natürlich kommen hie und da auch andere Materialien wie Edelstahl, Leim oder Öle ins Spiel. Man muss dabei aber bedenken, dass wir in unserem Holzbiegewerk komplette Lösungen entwickeln: Egal, ob es sich um Rundbänke oder Handläufe handelt – wir designen, konstruieren und installieren für unseren Kunden massgefertigte Objekte. Dieses Können hat sich übrigens bereits über die Landesgrenzen herumgesprochen; mittlerweile begleiten wir auch zahlreiche Projekte in den Nachbarsländern – von der Idee bis zur Montage.

Das Holz wird nicht nur für Möbel, Handläufe und in der Architektur verwendet, sondern auch im Kunstbereich. Welche Objekte, die man nicht erwarten würde, entstehen in Ihrem Holzbiegewerk?

Im Bereich Leuchten tut sich sehr viel. Da wäre zum Beispiel die Ex Vapore, eine kunstvolle Skulptur-Leuchte aus der Feder und Hand unseres Werkmeisters Tim Kopetzki. Ich staune selbst immer wieder, mit welchen kreativen Einfällen die Kunden auf uns zukommen. Unser Bugholz findet man bei Zahnbürsten, Brillenbügeln, als Raumtrenner in einer edlen Propeller-Form, beim Trommelbau oder als Ventilator-Gehäuse. Aktuell biegen wir aus Eschenholz die Steuerräder eines Maserati Rennwagens Tipo 26, Baujahr 1926. Oder, ein anderes Beispiel: Wir fertigen seit Jahren die Bögen für exklusive Badewannen aus Massivholz. Sie sehen, mit ein bisschen Fantasie findet Bugholz in zahlreichen Lebensbereichen Einzug.

Ihr innovatives Sitzmöbelsystem HARMONICA wird allseits gepriesen und gelobt. Was kann diese Bank, was andere nicht können?


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Die HARMONICA ist eine Freiform-Sitzbank. Der Kunde bestimmt nach seinem Gusto den Verlauf und die Länge. Auf unserer Webseite bieten wir einen Online-Konfigurator an, mit dem man seine HARMONICA selbst designen und dank Augmented Reality in den eigenen Garten oder sein Wohnzimmer platzieren kann. Die organische Form dieser Bank ist von einer schlichten Eleganz, die sich harmonisch in Landschaften, Pärke, Gärten, öffentliche Plätze und Terrassen einfügt. Aufgrund der geschwungenen Sitzanordnung kann man seinen Sitznachbarn in die Augen sehen und es entstehen gesellige Gespräche wie am Stammtisch. Dank den verwendeten Materialien Eichenholz, der Edelstahl-Unterkonstruktion und des Oberflächen-Holzschutzes hält sie jeder Witterung stand und bewahrt ihre Ästhetik über viele Jahrzehnte. Und das Allerbeste daran: Die Sitzschalenform ist so bequem wie eine Liege – und das ganz ohne Kissen.

Die Bänke des Holzbiegewerks stehen am Paradeplatz sowie am Central. Sie haben aber auch den eleganten Tresen der Widder Bar oder den edlen Handlauf in der umgebauten Bucherer-Filiale umgesetzt. Auf welches Ihrer Projekte blicken Sie besonders stolz zurück?

Jedes unserer Objekte birgt eine Geschichte in sich – die manchmal auch mit Blut, Schweiss und Tränen geschrieben wurde. Derzeit fertigen wir die Bänke des Bahnhof Schaffhausens an – unser bisher grösser Einzelauftrag. Diesen Sommer werden wir im Auftrag des weltbekannten Künstlers Olafur Eliasson für einen Park in Oxford North einzigartige Rundbänke aus massiver, dampfgebogener Eiche herstellen und montieren. Die besten Projekte liegen also noch vor uns…

vielleicht ist es ja eine fliegende Holzbank, die sich von dieser Waldlichtung emporhebt und gemächlich ihre Runden über den Baumkronen zieht, damit ich von oben der herrlichen Nachmittagssonne frönen kann, stelle ich mir so vor, als ich auf der Harmonica sitzend genüsslich meinen Träumereien nachhänge. Nun wird’s aber etwas gar surreal, unterbreche ich mich bei meiner fantastischen Denkerei, und erhebe mich von der Holzbank. Fertig ist die Auszeit, zurück geht’s in die reale Welt.