Vom Zauber des Unzeitgemässen


Design & Kunst
Als Wassily Kandinsky um 1910 das Blaue Pferd brachial durch die Welt der Kunst galoppieren liess, war das nicht nur ein Paukenschlag in der Ästhetik, sondern ein Aufbegehren – ein Aufschrei gegen die Erstarrung des Gewöhnlichen, gegen das bequeme Schillern des Zeitgeistes. Mit einem Pinselstrich zerschlug er die Konventionen der Kunstwelt und liess eine neue Wirklichkeit entstehen – eine Wirklichkeit der inneren Notwendigkeit. «Man sagt, die Kunst sei das Kind ihrer Zeit», schrieb Kandinsky, «doch eine solche Kunst ist wie eine Blume ohne Wurzeln – schön im Moment, aber dem Verwelken geweiht.» Für ihn war wahre Kunst kein Echo des Jetzt, sondern ein innerer Ruf, jenseits von Mode, Markt und Meinung. Seiner Überzeugung folgend, wandte er sich einer fast vergessenen Technik zu – der Hinterglasmalerei –, in der sich das Bild nicht auf der sichtbaren, sondern auf der verborgenen Seite des Materials offenbart. Zwei Werke hat er in dieser Technik vollendet, ehe der Erste Weltkrieg das fragile Erwachen neuer Ausdrucksformen unter sich begrub – wie zarte Keimlinge unter Granatfeuer.
Doch was in der Geschichte verschüttet wurde, kann in der Gegenwart wieder freigelegt werden – mit Hingabe, mit Mut, mit jener Unzeitgemässheit, die aus der Kunst ein zeitloses Versprechen macht. Über ein Jahrhundert später nimmt Art X on Glass diesen verschollenen Faden auf – nicht als blosse Hommage, sondern als Weiterführung eines rebellischen Impulses. Hier wird mit ungebremster Leidenschaft hinter Glas gemalt – Schicht für Schicht, Linie für Linie, als würde man durch eine Membran ins Unsichtbare greifen. Die Werke, die dabei entstehen, sind keine glatten Bildflächen, sondern vibrierende Resonanzräume. Sie sind Antworten – nicht auf das, was war, sondern auf das, was tief in uns noch nicht ausgesprochen ist. Sie trotzen dem Lärm der Zeit mit Stille. Sie antworten dem schnellen Blick mit Tiefe. Sie sind, wie Kandinsky es gewollt hätte, nicht Kinder des Augenblicks – sondern Ahnen der Zukunft.

Design & Kunst
Miriam Schnyder
Beim Werden meiner Bilder malt sie mit – die Feinmechanik der Seele. Es ist ein stilles Zittern, ein inneres Flackern, als würde ein unsichtbarer Taktgeber meine Hand führen. Die Malerei hinter Glas ist kein kalkulierter Vorgang, keine technische Fügung. Sie ist Rausch, Fieber, ein verführerisches Delirium. Ich bin in ihr nicht Schöpferin allein, sondern Gefäss. Die Farben wählen ihren Weg, das Licht streut sein eigenes Narrativ. Und immer tanzt darin etwas Unaussprechliches – vielleicht ein Sehnen, vielleicht ein Trotz.
Denn da gibt es keine wohltemperierte Mitte, kein gedeckeltes Harmonieversprechen. Keine glattgeputzte Oberfläche der Wirklichkeit, die sich bequem konsumieren liesse. Stattdessen: Reibung, Widerstand, Glut. Vielleicht ist es bei mir – wie bei Kandinsky – ein herzhafter Widerstand gegen das Schrumpfen der Welt auf ihre Nützlichkeit. Gegen den bleiernen Alltag der Kleinstadt, gegen das endlose Kreisen um Belangloses. Die Kunst, so scheint es mir, ist mein Versuch, die «kriechende Nebelverfinsterung» abzuschütteln – jenes träge Dunkel, das sich wie Staub auf unsere Wahrnehmung legt.
Wenn mir das gelingt – und sei es nur für einen Moment – bin ich ein Stück weiter in meinem inneren Labyrinth. Ein Labyrinth aus Hintersinn, Tiefgang, Aufbegehren. Und wer weiss: Vielleicht begegnet mir auf diesem verschlungenen Pfad der gefallene Blaue Reiter Kandinskys erneut. Vielleicht lehnt er an einer Wegbiegung, wischt sich den Stirnschweiss der Geschichte ab und murmelt: «Denk dran, Miriam – der Künstler muss blind sein für erkannte und unerkannte Formen. Taub für die Lehren und Wünsche seiner Zeit. Seine offenen Augen gehören dem Innen. Seine Ohren – der Stimme der inneren Notwendigkeit.»
Und so sieht es aus, wenn unsere Glasmalerei aus dem Rahmen der Gleichmacherei fällt.

Design & Kunst
Eirini Stefanaki
Wenn wir schon vom Blauen Pferd träumen, das durch die Kunstgeschichte stürmt, liegt die Assoziation zu Poseidon nicht fern – jenem urgewaltigen Gott, der über Meere, Beben und Pferde herrschte. Er war kein milder Schöpfer, sondern ein wilder Gebärer von Unordnung und Schönheit, von Sturm und Schaum. Und er erschuf sie, diese Geschöpfe, halb Erde, halb Geist: das ungestüme Ross, den geflügelten Pegasus, der nicht trabt, sondern fliegt.
Ich bin Griechin. Und manchmal verliere ich mich in diesem mythischen Gewebe, das so alt ist wie der Mensch und zugleich so gegenwärtig wie mein nächster Atemzug. In ihm habe ich eine Heimat des Denkens gefunden. Keine dogmatische, keine gerade Linie – sondern ein Denken in Spiralen, im Kreis, im Schweifen. Ein Denken, das nicht trennt, sondern verbindet: Haut und Himmel, Geschichte und Gegenwart, Farbe und Gefühl.
Die Glasmalerei ist für mich wie ein Altar dieser Sehnsucht. Ich verliere mich in ihr – atemlos, staunend, mit kindlicher Glut. Es ist ein Ort, an dem nicht der Verstand spricht, sondern ein tieferes Wissen, das in Bildern wohnt. Ich bemerke dabei: Man kann nicht auswandern aus seinen verschlungenen Lebenswegen. Die Biografie lebt weiter – in den Linien, in den Lasuren, in den Zwischenräumen.
Denn was ist das Ich anderes als ein gelebter Widerspruch? Kein geschlossener Körper, sondern eine vielstimmige Landschaft: ein kleiner Sternenhimmel aus Erinnerungen, Spuren, Erbschaften und Möglichkeiten. In mir fliessen Kulturen, Sprachen, Ahnungen. Ich bin mehrstimmig – und genau darin liegt mein künstlerisches Drängen: die Akkorde dieser inneren Mehrzahl hörbar zu machen.
Ich wandere weiter. Nicht mit festen Schritten, sondern tastend – auf der Suche nach verborgenen Akkorden, die nicht geschrieben, sondern erspürt werden wollen. Vielleicht leuchten sie auf, hinter Glas. Vielleicht auch nicht. Aber die Suche ist meine Lebensaufgabe.
Art X on Glass AG
Gewerbestrasse 7
4147 Aesch BL
www.artxonglass.com